Der Bericht zur Ahrtal-Flut - Einsatzbereicht unseres Helfers Tobias - Teil 4

Unser Helfer Tobias Mihm hat seine Erlebnisse und Eindrücke aus den zahlreichen Ahrtal-Einsätzen in einen sehr persönlichen Einsatzbericht gepackt. Jede Woche erscheint ein neuer Teil des Berichtes. Dies ist der vierte und letzte Teil in dem es um einen Einsatz in einem Logistikstützpunkt im Ahrtal geht und um das was nach vielen Einsätzen im Ahrtal bleibt.
Entladen und Beladen von LKWs

Entladen und Beladen von LKWs

Den erste Teil der Geschichte findet ihr hier
Den zweiten Teil der Geschichte findet ihr hier
Den dritten Teil der Geschichte findet ihr 
hier

09. Oktober 2021

Ich mache mich doch noch einmal auf den Weg Richtung Nürburgring, um ein letztes Mal meinen Beitrag bei der Beseitigung der Flutschäden in der Eifel zu leisten. Dieser Einsatz wurde schon vor etwa vier Wochen geplant. Es gab eine Verfügbarkeitsabfrage durch die zuständige Regionalstelle in Frankfurt. Der Einsatzauftrag lautet nun “Unterstützung in einem Lager als Fahrer Gabelstapler“. Zehn Tage lang werde ich im letzten verbliebenen THW-Lager verbringen. Schwerpunkte meiner Tätigkeit sind zwei Dinge: Erstens die Logistik für die noch rund 100 bis 150 im Ahrtal verbliebenen THW-Kräfte zu gewährleisten, indem ich beispielsweise Holz für den Brückenbau auf LKWs verlade. Nebenbei bemerkt ist das THW weltweit die einzige zivile Katastrophenschutz Organisation, die echte Brücken innerhalb kürzester Zeit aufbauen kann. Im Rest der Welt fällt dies ausschließlich in den Aufgabenbereich des Militärs. Zweitens unterstütze ich bei der Rückführung von im Ahrtal verbliebenem THW-eigenem Einsatzmaterial und sortiere Materialien, welche von privaten Unternehmen zur Verfügung gestellt wurden. Angefangen von Bauzäunen oder anderem Absperrmaterialien verschiedener Hersteller, welche teilweise nur anhand kleinster Details auseinandersortiert werden müssen, bis hin zur Räumung von Containern voll mit Gebrauchs- und Verbrauchsmaterialien. All dieses Equipment muss entweder an entsprechende Stellen im Tal als Spende abgegeben, zurück zu den rechtmäßigen Besitzern gebracht oder in die 668 deutschlandweit verstreuten THW-Ortsverbände verteilt werden.

Es geht hierbei vorrangig um den Rückbau des Lagers, sodass etliche THW-eigene LKWs aber auch einige Sattelzüge von Speditionen beladen werden müssen, um das Material vom Hof zu bekommen. Eine wahre Materialschlacht findet auf diese Weise langsam ihr Ende und auch für mich endet nach nun insgesamt 21 Tagen im Katastrophengebiet der bisher größte Einsatz der THW- Geschichte.

Jedoch werden mir die Bilder der Zerstörung, die Geschichten und Schicksale der Menschen lange im Gedächtnis bleiben. Wenn ich heute Bilder im Fernsehen über die Ausmaße der Flutkatastrophe sehe, fühle ich mich jedes Mal zurückversetzt in diesen Einsatz. Gleichzeitig kann ich es immer noch nicht begreifen, was in dieser Nacht passiert sein muss, welche Masse an Wasser mit unglaublicher Wucht und Kraft gewütet hat und allein an der Ahr 135 Menschen das Leben kostete, sowie 766 Menschen verletzte.

Ich gehe mit gemischten Gefühlen aus diesem Einsatz:

Ich bin persönlich sehr erleichtert, dass meinen Kameradinnen und Kameraden und mir die ganz schlimmen Bilder im Kopf erspart geblieben sind. Wir mussten glücklicherweise nicht zur Bergung von Ertrunkenen in überfluteten Kellern und Tiefgaragen oder aus weggespülten Fahrzeugen ausrücken. Wir sind glücklicherweise am Ende alle physisch und psychisch gesund aus dem Einsatz gegangen, auch der eine verletzte Kamerad ist wieder genesen.

Ich dankbar dafür, dass wir „in Ruhe“ unsere Einsatzaufträge bearbeiten konnten, ohne uns mit Anfeindungen gegenüber den Hilfskräften auseinandersetzen zu müssen, wie dies teilweise der Fall gewesen ist.

Ich bin schockiert darüber, wie manche Menschen mit dem Leid anderer Menschen umgehen. Wie respektlos und sensationsgeil sich diese Personen in den Vordergrund drängen, nur um ein paar „tolle“ Aufnahmen zu ergattern oder in sozialen Medien „Klicks“ zu generieren. Zugegebenermaßen betrifft das nur einen wirklich kleinen Teil unserer Bevölkerung. Leider behindern diese Mitmenschen durch ihre Aktionen aber oftmals die Hilfskräfte oder stellen diese in schlechtem Licht dar. Sie schüren Zweifel an Maßnahmen und streuen Verunsicherung. Sie sorgen so dafür, dass sich die Betroffenen in ihrer Not noch zusätzlich Gedanken machen müssen, ob und in welcher Form sie beispielsweise Hilfe bekommen werden oder nicht.

Gleichzeitig bin ich aufrichtig froh darüber, dass es so viele Menschen in unserem Land gibt, die bereit sind zu helfen, wenn es nötig ist. Egal ob finanziell, materiell oder durch ihren Einsatz vor Ort – jede Art der Hilfe ist in einer solchen Situation richtig und wichtig. Jetzt zählt es, dass wir damit fortfahren, von der kurzfristigen Hilfe in eine langfristige und nachhaltige Hilfe überzugehen, damit wir den Menschen in den betroffenen Gebieten dabei helfen, halbwegs gut durch den Winter zu kommen und im Frühjahr weiter aufzubauen.

Ich bin mir sicher, durch meinen Einsatz etwas bewegt zu haben. Ich bin stolz darauf ein kleines Rädchen bei der Bewältigung einer hoffentlich in Deutschland einzigartigen Katastrophe gewesen zu sein und ich werde mich weiterhin im Technischen Hilfswerk ehrenamtlich engagieren. Der Zusammenhalt und das vielfältige Aufgabenspektrum sind Motivation dafür. Gleichzeitig habe ich dort die Möglichkeit, gesellschaftlich Verantwortung zu übernehmen und meinen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten.

Mir hat all das Erlebte gezeigt, dass ich viele Dinge als selbstverständlich erachte, Dinge, die nicht zwangsläufig selbstverständlich sind. Sei es die körperliche Gesundheit, das Dach über dem Kopf oder das Leben in Frieden. Oftmals entscheidet einfach nur das Glück oder eine regionale Gegebenheit, ob man zu den Betroffenen zählt oder nicht. Das sollten wir uns alle regelmäßig bewusst machen! Ein bisschen mehr Demut und Gelassenheit würde unserer Gesellschaft gut zu Gesicht stehen.

Wir möchten uns ganz herzlich bei unserem Helfer Tobias Mihm und seiner Familie bedanken für das den Einsatz und auch für diesen persönlichen Einblick.


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