Liers,

Der Bericht zur Ahrtal-Flut - Einsatzbereicht unseres Helfers Tobias - Teil 3

Unser Helfer Tobias Mihm hat seine Erlebnisse und Eindrücke aus den zahlreichen Ahrtal-Einsätzen in einen sehr persönlichen Einsatzbericht gepackt. Jede Woche erscheint ein neuer Teil des Berichtes. Dies ist der dritte Teil in dem es um die Räumung eines Bachlaufes geht.
Zerstörte Brücke an der Ahr

Zerstörte Brücke an der Ahr

Den erste Teil der Geschichte findet ihr hier
Den zweiten Teil der Geschichte findet ihr hier

Sonntag, 08. August 2021

Ich komme gerade aus einem einwöchigen Familienurlaub zurück, als am Nachmittag mein Handy klingelt. Unser THW Ortsverband ist da schon wieder seit drei Tagen im Einsatz. Mein Gruppenführer fragt mich, ob ich als Ersatz für einen verletzten Kameraden nachrücken könne. Auch für uns birgt jeder Einsatz natürlich ein gewisses Risiko sich zu verletzen. Der Einsatzzeitraum ist noch bis Mittwoch angesetzt. Ich sage zu, packe meine Sachen und mache mich wieder auf den Weg Richtung Nürburgring.

Der Bereitstellungsraum dort bietet mittlerweile Platz für mehr als 5000 Einsatzkräfte aller Sparten: Feuerwehren, Sanitätsdienste, Bundeswehr, THW – alle haben ihren Platz. Auch das muss organisiert werden. Sanitäre Anlagen in ausreichender Anzahl müssen aufgestellt und sauber gehalten werden. Verpflegungsstellen müssen eingerichtet werden, sowie Essen und Getränke besorgt, zubereitet und bereitgestellt werden. Ein Zelt mit medizinischer Soforthilfe für kleinere Verletzungen und leichte Erkrankungen steht auch bereit und das sogenannte Einsatznachsorgeteam, dessen Unterstützung jeder in Anspruch nehmen kann, ist ebenfalls vor Ort. Es fährt aber auch durch das Einsatzgebiet und bietet aktiv Hilfe an. Außerdem hat eine kleine Werkstatt Stellung bezogen, um die Ausrüstung und Fahrzeuge zumindest bei kleineren Schäden noch einsatzfähig zu halten. Insgesamt ist es eine riesengroße logistische Herausforderung für die Verantwortlichen, wenn man bedenkt, dass die Standardgröße des sogenannten Bereitstellungsraum 500 (BR500) Platz für 500 Personen bietet. Allerdings ist er modular aufgebaut und kann bei Bedarf entsprechend erweitert werden. In diesem Einsatz musste das erste Mal auf diese Option zurückgegriffen werden – und zwar direkt mit dem Multiplikator zehn!

Im Bereitstellungsraum treffe ich den Rest meiner Gruppe. Ich beziehe mein Feldbett in unserem Zelt, Geschlechtertrennung findet hier nicht statt und es funktioniert trotzdem, übrigens auch für meine Kameradinnen. Im Bereitstellungsraum haben wir Tag für Tag die Möglichkeit uns frisch zu machen, zu essen und Kraft zu tanken für den kommenden Einsatztag und die nächsten Aufgaben.

Der Einsatzauftrag führt uns dieses Mal an einen kleinen Bach. Ein Bach, durch den wir an den meisten Stellen problemlos hindurchwaten können, fünf bis zehn Zentimeter tief, maximal eineinhalb Meter breit. Unvorstellbar, dass das Wasser hier in der Flutnacht auf einer geschätzten Höhe von ca. drei Metern über dem Normalpegel durchgeflossen ist. Unsere Aufgabe besteht darin, das Flussbett von Treibgut zu befreien, um den Abfluss des Wassers bei zukünftigen Starkregenereignissen zu gewährleisten. Bei sommerlichen Temperaturen und strahlendem Sonnenschein zersägen wir Baumstämme, um diese dann aus dem Flussbett zu ziehen oder zu tragen. Wir versuchen dem Geflecht aus Holz irgendwie Herr zu werden, zumal in fast jedem Baum und Strauch entlang des Baches Weidezäune oder auch Stacheldraht hängt. Dies könnte trotz unserer guten Schutzausrüstung durchaus schmerzhaft sein, wenn wir hineingreifen würden aber noch viel gefährlicher wäre es, wenn wir uns mit den Motorsägen darin verfangen würden.

Meter um Meter arbeiten wir uns voran. Stellenweise stoßen wir mit unserer Ausrüstung und unserer Muskelkraft jedoch an die Grenzen des Machbaren. Was wir also nicht selbst bewegen können, wird zu einem späteren Zeitpunkt von schwerem Gerät aus dem Flusslauf gezogen oder gehoben werden.  

Irgendwie ist es ziemlich paradox, wir befinden uns in einem Katastrophengebiet, eigentlich eine wunderschöne Region, bei schönstem Sommerwetter – die Vögel zwitschern und das Bächlein plätschert sanft dahin und wir sind damit beschäftigt die Flutschäden von vor über drei Wochen zu beseitigen. Hier zeigen sich die Macht und die Unberechenbarkeit der Natur besonders deutlich.

Mittlerweile hat sich auch in den Ortschaften im gesamten Ahrtal schon so einiges bewegt, an vielen Stellen, an denen wir vor ein paar Wochen noch mit unseren Fahrzeugen durch die Ahr fahren mussten, weil die Brücken zerstört waren, stehen nun von Bundeswehr oder THW geschlagene Behelfsbrücken. Dort wo sich vor einigen Tagen noch Schlamm und Schutt meterhoch in den Straßen auftürmte, ist nun wieder Asphalt zu sehen. Die meisten Häuser sind mittlerweile komplett ausgeräumt und entkernt, daher beginnen die Besitzer nun den Putz von den Außenwänden abzuklopfen. Dies sind die Arbeiten, die jeder Hausbesitzer selbst verrichten kann. Was aber wird, wenn es an den Wiederaufbau geht? Handwerker und Firmen waren schon vor der Flutkatastrophe ausgebucht und Baumaterial teilweise Mangelware. Nun steht der Winter bevor und die Häuser sind nass und kalt. Es wird voraussichtlich noch eine ganze Weile dauern, bis hier wieder Normalität einkehrt.

Tagsüber bleiben wir an der Einsatzstelle am Bach. Wir haben einen Pavillon aufgestellt, der uns Schatten spendet oder wir finden unter einem großen Ahornbaum ein schattiges Plätzchen. Verpflegung können wir morgens aus dem Bereitstellungsraum mitnehmen oder wir greifen auf die zuvor schon erwähnten Verpflegungsboxen unserer Küchencrew zu. Abends nach getaner Arbeit fahren wir zurück zum Bereitstellungsraum. Auf unserem Weg dorthin sehen wir jeden Tag einen kleinen Jungen mit seinem Vater am Straßenrand stehen. Er schaut fasziniert und winkt jedem Helfer, der vorbeikommt. Er macht keinen Unterschied, ob oder zu welcher Organisation die Helfer gehören. Er ist einfach da und bereitet uns allen damit eine große Freude.

Am Nachmittag des 11. August begeben wir uns auf den Weg nach Hause. Mit einem gewissen Gefühl der Wehmut heißt es für uns Abschied nehmen, möglicherweise war das unsere letzte Mission hier im Ahrtal. Wir sind uns bewusst, dass die Katastrophe noch lange nicht ausgestanden ist und dass noch viel Hilfe zu leisten ist. Jedoch bildet das THW einen Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren, dessen regulären Aufgaben im THW- Gesetz geregelt sind. In Paragraph 1, Absatz 2 heißt es:

Die technische Unterstützung (...) umfasst insbesondere

  1. (1)  Technische Hilfe im Zivilschutz

  2. (2)  Einsätze und Maßnahmen im Ausland im Auftrag der Bundesregierung

  3. (3)  Bekämpfung von Katastrophen, öffentlichen Notständen und Unglücksfällen größeren Ausmaßes auf Anforderung der für die Gefahrenabwehr zuständigen Stellen

  4. (4)  Unterstützungsleistungen und Maßnahmen (...), die das Technische Hilfswerk durch Vereinbarung übernommen hat.

Für uns bedeutet das einmal mehr, dass wir nicht tun und lassen können was wir wollen, sondern dass wir uns an gewisse „Spielregeln“ halten müssen, auch wenn unsere persönliche Sichtweise vielleicht manchmal eine andere ist oder etwas für uns nicht nachvollziehbar scheint.

Wie es weitergeht mit den Erlebnissen unseres Helfers Tobias erfahrt ihr nächste Woche Freitag


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